Die Welt-System-Analyse. Eine Einführung. von Immanuel Wallerstein
Wie lässt sich die Welt aufschlüsseln? Was haben Arbeitsteilung (und Machtstrukturen) damit zu tun? Und inwiefern ist der Welthandel dafür ausschlaggebend?
Die erste große Neuerung, die die Welt-System-Analyse nach Immanuel Wallerstein mit sich bringt, ist ihre Analyseeinheit und zwar die „Welt“ als ganze. Bis in die 1970er Jahre wurden nur Nationalstaaten und deren Ökonomien im einzelnen betrachtet und analysiert, jetzt aber steht die gesamte Welt als ein „System“ im Fokus der Analyse. Wallersteins Annahme ist hier, dass Regionen und Nationalstaaten seit Jahrhunderten in ein komplexes weltweites System internationaler Arbeitsteilung und Machtstrukturen eingebunden sind. Deshalb ist es notwendig, Nationalstaaten nicht als voneinander isolierte Einheiten zu betrachten, sondern die Zusammenhänge zwischen ihnen in den Fokus zu nehmen.
Die Welt-System-Analyse lässt sich in zwei Subkategorien teilen: zum ersten in Welt-Imperien (Römisches Reich; Han-Dynastie) und zum anderen in Welt Ökonomien.
Sie ist kein aus dem Boden gestampftes neues Analysewerkzeug sondern vielmehr eine Verknüpfung und Ergänzung bereits existenter Theorien und Konzepte, welche sich mit den ökonomischen Systemen unserer Welt befassen. Eines davon ist beispielsweise das „Zentrum-Peripherie-Konzept“ der Economic Cooperation for Latin America and The Carribean (ECLA) oder die Theorie der „Axialen-Arbeitsteilung“ nach Prebisch, auf die wir später noch einmal zurückkommen werden.
Die Welt-System-Analyse zeichnet sich zudem durch ihre Uni Disziplinarität aus, was vollkommen innovativ für die damalige Zeit war. Sie spricht sich jeglicher traditioneller Abgrenzung der Teildisziplinen der Sozialwissenschaften frei und forscht mit ihr als eine umfassende Disziplin (auch historische Sozialwissenschaften genannt). Sie nimmt eine Art „ganzheitliche-Perspektive“ ein — oder versucht es zumindest.
[Dieser neue Analysemodus verschafft uns die Möglichkeit zunächst unser Weltsystem zu erkennen und dadurch die Krise zu „verstehen“, in welcher sich unser System und damit auch wir befinden — Eine Systemkrise.]
Im 16. Jahrhundert etablierte sich die kapitalistische Wirtschaft als Weltwirtschaft, zunächst nur im europäischen Raum, bald jedoch breitete sie sich auf allen Märkten der Welt aus. Und wie das beim Kapitalismus so ist, etablierte sich damit eine Welt-Wirtschaft die nach der Maxime der ewigen Akkumulation von Kapital strebt und agiert. Was hier klar genannt werden muss ist, dass eine Welt-Wirtschaft keine Geokultur darstellt. Sie unterliegt keiner einheitlichen politischen Struktur. Sie besteht vielmehr aus vielen einzelnen politischen Einheiten die lose in einem zwischenstaatlichen System miteinander verbunden sind.
Dieses zwischenstaatliche System lässt sich durch das Zentrums-Peripherie-Konzept der ECLA dreiteilig zonieren. Um diese Zonen nachzuvollziehen zu können, lohnt es sich die Theorie der Axialen-Arbeitsteilung genauer anzuschauen, der ein kapitalistisches System nach Prebisch unterliegt:
Demnach lassen sich Produktionsprozesse in zwei Arten einteilen: in Zentrumstypische und periphertypische Prozesse. Erstere finden stets auf einem relativ monopolisierten Markt statt und sind somit profitabler. Um sogenannte Quasi-Monopole zu errichten benötigen Firmen einen starken Staatsapparat, der durch Subventionierung oder ähnlichem das Quasi-Monopol mit durchsetzt. Letztere unterliegen weitgehend den freien Märkten und sind somit einem Konkurrenzverhalten ausgesetzt, was unter anderem auch ein Grund für die geringere Profitrate periphertypischen Produktionsprozesse ist.
Nun ist es jedoch so dass sich Quasi-Monopole durch den Markeintritt anderer Produzenten mit der Zeit erschöpfen und auflösen. Um diese Produktionsprozesse trotzdem profitabel für den Produzenten zu halten, werden sie ausgelagert. So werden zentrumstypische Prozesse mit der Zeit periphertypisch. Ein gutes Beispiel dafür ist die Textilindustrie, die im 18. Jahrhundert noch ein sehr profitables zentrumstypisches hauptsächlich zentraleuropäisches Geschäft darstellte, zu Beginn des 21. Jahrhunderts allerdings eines der unprofitablesten periphertypischen Prozesse der Weltwirtschaft wurde.
So lässt sich das Zentrumsperipheriekonzept einfach verstehen. Es ist eine Einteilung der Staaten in unserem multilateralen System in drei Zonen.
1). Dem Kern. Hier finden überwiegend zentrumstypische Prozesse statt. (Es handelt sich also um finanziell/wirtschaftlich starke Länder, die sich im globalen Norden befinden. Kernländer sind zB. USA, Russland, England, Frankreich, Deutschland, Japan, China und Canada)
2). Der Semi-Peripheren Zone. Hier finden zentrumstypische und periphertypische Prozesse in relativ ausgeglichenem Maße statt. (Semi-Periphere Länder, auch ‚Schwellenländer‘ oder ‚neue aufsteigende Wirtschaftsmächte‘ genannt sind zB. Irland, Mexico, Pakistan und Panama)
3). Periphere Zonen. Hier finden überwiegend periphertypische Produktionsprozesse statt. (Periphere Länder, sind (meistens) ehemals kolonisierte Länder im globalen Süden zB. Afghanistan, Bolivien, Ägypten, Chad, Vietnam, die Dominikanische Republik, Haiti und die Philippinen)
Die verschiedenen Zonen sind voneinander abhängig, zudem prognositiziert Prebisch, dass die Handelsbeziehungen zwischen den Zonen sich – zum Vorteil des Zentrums und Nachteil der Peripherie – verschlechtern werden.
[Nun können wir versuchen zu verstehen wieso wir uns in einer Systemkrise befinden und wie diese aussieht.]
Unter der Maxime der ewigen Akkumulation von Kapital ist jeder Produzent gewillt und gezwungen seinen Profit zu erhöhen. Dies gelingt ihm durch staatliche Subventionen in Form von externalisierten Kosten und Besteuerung. Auch das Verlagern von Produktionsprozessen in periphere Zonen zur Senkung der Lohnkosten spielt eine wichtige Rolle. Unternehmen, die nach der zuletzt genannten Strategie agieren nennt man auch passend „runaway factories“. Demnach hat sich unsere Welt „entländlicht“. Wir haben schlicht und ergreifend keine „noch“ periphereren Zonen, in welchen wir Löhne noch weiter „dumpen“ könnten. Die Expansion unserer Welt-Wirtschaft ist so lange vorangeschritten, dass sie jetzt gegen die Asymptote ihrer Funktion stößt. Sie hat ihr Ende erreicht.
[Das ist es, was wir eine Systemkrise nennen. Eine Krise die sich auf keine dem System bekannte Handlungsweise lösen lässt. Um sie zu bewältigen muss man das System überwinden, in welchem sie existiert.]
von Laurenz Guggenberger B.A
entstanden in Kooperation mit: